Bekanntlich bildet die Hauptschwierigkeit bei der Übersetzung literarischer Texte nicht die Übertragung des Inhaltes, sondern der Stimmung, des Stils, des Charakters, der Intonation des Werkes. Beim Übersetzen wissenschaftlicher Texte braucht man die Genauigkeit durch die semantische Identität zu bewahren, beim Übersetzen literarischer Texte aber kommt es auf die künstlerische, emotionale Identität. Das verlangt vom Übersetzer neben Talent guten literarischen Geschmack, Sprachgefühl und Erfahrung.
Während der Übersetzung literarischer Texte ist es besonders schwierig, Humor, Wortspiele, geflügelte Worte oder zweideutige Ausdrücke in die Zielsprache zu übertragen. Es ist interessant, wie es dem bekannten georgischen Schriftsteller David Tserediani gelingt, diese Schwierigkeiten in seiner Übersetzung der Märchen der Gebrüder Grimm zu bewältigen.
In den Märchen trifft man oft ausgedachte Eigennamen, die einen besonderen Klang und eine besondere Struktur haben und spaßig und bildhaft sind. Meistens sind das Okkasionalismen und heben besondere Eigenschaften der Märchenfiguren hervor, sie zeigen deren Charakterzüge, aber um sie richtig zu verstehen, ist es wichtig, den inhaltlichen Zusammenhang zu kennen. Charaktersierende, oder sogenannte „sprechende Personennamen“ zeigen oft strukturelle und phonetische Besonderheiten, was ihnen mehr Expressivität und Ausdruckskraft und eine komische, witzige Färbung gibt. Es ist nicht leicht, einen dem Original entsprechenden Namen zu finden, denn einerseits ist es nötig, die Haupteigenschaft des Namenträgers zu zeigen, und andererseits soll die für den Namen charakteristische Expressivität nicht verlorengehen. Während des Übersetzens greift D. Tserediani manchmal zu den derivativen Formen, die für den gehobenen Stil charakterisrtisch sind und in der Umgangsprache selten gebraucht werden: pherenand ughalato und pherenand ghalatiani - Ferenand getrü, Ferenand ungetrü; hansl memorine - Der Spilhansl; nairbeçva -Allerleirauh; er bildet auch Okkasionalismen: mogzasharave („Die beiden Wanderer“ ); pharthal-phurthala (Rumpelstilzchen) usw.
Wenn es nicht möglich ist, eine genaue Identität für den Namen zu finden, bildet der Übersetzer dem Inhalt des Märchens entsprechend und unter Berücksichtigung der Eigenschaften der Person einen Okkasionalismus, wie z. B. bakh bukh xvetia - Pif Paf Poltrie. Dieser ist dem deutschen Namen ähnlich gebildet und hat dieselbe komische Wirkung, was für den Originaltext charakteristisch ist, er ist eine Kontamination der georgischen Namen: bakhibukha (Prahlhans) und sharaxvetia (Taugenichts), und bringt den Charakter der Person gut zum Ausdruck.
Im deutschen Text kommen häufig Zusammensetzungen vor, nicht nur bei den „sprechenden“ Personennamen, sondern auch allgemein, und oft sogar im Titel des Märchens. D. Tserediani gebraucht dafür ebenfalls Zusammensetzungen oder bildet sie selbst. Durch die Zusammensetzung und das Zufügen des Suffixes -a entstanden die Namen: goja-biçhi (Daumendick), lomchita (Loweneckerchen), mxalqvavila (Rapunzel), qurmaxvila (Horcher), dathvistqava (Der Bärenhäuter ) u. ä.
Als Entsprechungen der humoristischen, witzigen Namen gebraucht D. Tserediani manchmal Komposita, die durch die Reduplikation des Stammes und durch den Vokal- oder Konsonantenwechsel im Stamm gebildet werden. Solche Namen wirken im Georgischen expressiv und zeigen die ironische, abwertende Einstellung des Erzählers gegenüber diese Figur. Eben diesem Ziel dienen die vom Übersetzer gebrauchten umgangssprachlichen oder mundartlichen Formen: jalab-julabi (Das Hausgesinde), jilgho-milgho (Das Lumpengesindel).
Eine gewisse Schwierigkeit entsteht bei der Übersetzung der Diminutivformen aus dem Deutschen ins Georgische. Deutsch ist reich an Diminutiformen und diese werden auch in Märchen häufig verwendet, im Georgischen dagegen (sowohl in der alten, als auch in der modernen literarischen Sprache) kommen Diminutive selten vor, aber dafür trifft man sie öfters in der Umgangsprache oder in Dialekten. Für die Entsprechungen der deutschen Diminutivformen gebraucht D. Tserediani manchmal Beschreibungen (wenn der Deminutiv im Original eine neutrale Färbung hat), manchmal aber bildet er nach Bedarf eine inovative Form. Solche Diminutive sind: tiluka (Lauschen), rçqiluka (Flohchen), karuka (Türchen), dzexuna (Würstlein), neshuka (Mistchen). Manche dieser Formen sind auch für die deutsche Sprache eine Seltenheit: Lauschen, Flohchen, Mistchen. Dem Märchen, in dem sie vorkommen, geben eben diese Formen eine komische Färbung. Deshalb war es wichtig, diese Formen in der Übersetzung zu bewahren.
Besonders hervorzuheben ist die Kunst des Übersetzers bei der Übertragung der Gedichte, die in den Märchen eingesetzt sind. D. Tserediani gebraucht dafür lautmalerische Wörter, die für die georgische Sprache natürlich und dem Leser aus der Volklore bekannt sind.
In unserem Beitrag wollten wir zeigen, wie der georgische Schriftsteller D. Tserediani die Schwierigkeiten überwindet, die beim Übersetzen literarischer Texte, nämlich Märchen, entstehen. Die georgische Übersetzung von Grimms Märchen ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Übersetzung: Einerseits wird dem Leser die Welt nahegebracht, die in den Märchen beschrieben sind, andererseits aber bekommt der Leser solchen Eindruck, als ob die Märchen in seiner Muttersprache geschaffen wären.