Die ausgehandelte Ehrenpflicht: Zur Geschichte der Allgemeinen Wehrpflicht im Russischen Reich 1874-1914

TSU, 115 - 14.15-14.40

Die 1874 erfolgte Einführung der  Allgemeinen Wehrpflicht in Russland war die letzte der großen Reformen Alexanders I., die 1861 mit der Bauernbefreiung begonnen hatten. In vielerlei Hinsicht an die stein-hardenbergschen Reformen in Preußen angelehnt, gaben sie dem Russischen Reich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts dennoch ein höchst eigenwilliges und konfliktreiches, dabei  oftmals sehr modernes Profil.

Zwar spielte die militärische Macht eine zentrale Rolle in Russlands Großmachtposition, die Allgemeine Wehrpflicht aber folgte erstens vorrangig zivilen Interessen und machte zweitens die Ableistung des Dienstes zum Gegenstand eines Aushandlungsprozesses zwischen den Rekruten und dem Staat. Ob ein junger Mann Soldat werden musste oder nicht, hatten er und seine Dorfgemeinde in erheblichem Maße selbst in der Hand. Gesellschaft und Staat wuchsen – so die These des Vortrages – über die Allgemeine Wehrpflicht gerade nicht zusammen. Das Gift des vor 1914 in ganz Europa grassierenden Militarismus wirkte in Russland kaum, was maßgeblich der Allgemeinen Wehrpflicht geschuldet war.