Manana Tandaschwili
(Goethe Universität Frankfurt)
Literarische Wahrnehmung von Georgien in den
deutschen Übersetzungen von
"Der Recke im Tigerfell" von Schota Rustaweli
Schota Rustaweli`s „Der Recke im Tigerfell“ (Vepxistqaosani), das seit 2013 in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen wurde, gilt als das georgische Nationalepos. Es ist ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswertes Werk der mittelalterlichen georgischen Literatur. An der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert und also etwa 800 Jahre nach dem Anfang der georgischen Schriftlichkeit entstanden, markiert es eine scharfe Abkehr weg von dem christlich-orthodox determinierten, im Wesentlichen theologisch ausgerichteten Schrifttum, das die altgeorgische Periode bis dahin prägte. Die Bedeutung des Epos für das Weltkulturerbe ist enorm – „Der Recke im Tigerfell“ ist in 56 Sprachen der Welt übersetzt worden und stellt damit eine einzigartige Ressource für die interdisziplinäre Forschung wie Literaturwissenschaften, Linguistik, Übersetzungswissenschaften, Kulturologie usw. dar.
Seit dem 19. Jahrhundert hat es zahlreiche Versuche gegeben, Schota Rustaweli`s Dichtung in anderen Sprachen zu übersetzen, darunter auch ins Deutsche. Die älteste deutsche Über-setzung des Epos stammt aus den 80-er Jahren des 19. Jahrhundert und stellte damit die erste Übersetzung dar, die das Epos für die europäischen Leser zugänglich machte. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde „Der Recke im Tigerfell“ mehrfach ins Deutsche übersetzt. Dabei gibt es sowohl poetische Nachdichtungen (von Marie Prittwitz, Hugo Huppert und Hermann Buddensieg) als auch Prosaübertragungen (von Ruth Neukomm, Michako Zereteli und Viktoria Ruika-Franz). Für die Feststellung, welche von den Übersetzungen bessere literatische Qualität hat, und welche der Übersetzer die philosophische Tiefe und den ästhetischen Reiz des Werkes umsetzen konnte, haben wir 2018 ein wissenschaftliches Projekt ins Leben gerufen – ein digitales Parallelkorpus „Rustaveli goes digital“, welche zum Ziel hat die Übersetzungen des Epos in 56 Sprachen zu digitalisieren und mit dem Originalwerk zu parallelisieren. Die Struktur des Korpus ist so konzipiert, dass es ermöglichen soll die Übersetzungsstrategien und -methoden mit digitalen Verfahren zu erforschen.
Obwohl die Handlung im Epos in Arabien, Indien und anderen Orten stattfindet, ist es wissenschaftlich bewiesen, dass die Handlungen im Epos die Geschichte Georgiens abbilden, und damit wertvolle Quelle für die historischen und kulturellen Fragestellungen liefert.
Eine der wichtigen Figuren im Epos ist König Rostewan. Wie der Vergleich der Übersetzungen zeigt, wird sein sozialer Status, als König, in den Übersetzungen unterschiedlich, durch verschiedenen Äquivalenten wiedergegeben. Vgl.: hoher Herrscher, Herrscher, Höher Herr, König, Fürst, Rostevan. Die Differenzen lassen sich auch bei der Wiedergabe von მონა (Sklave) zu beobachten. Anhand vom Vergleich von Äquivalenten wird im Vortrag die literarische Wahrnehmung der sozialen Strukturen des damaligen Georgiens in drei deutschen Übersetzungen eruiert.