Armine Mkrtchyan
(Französische Universität Jerewan, Armenien)
Die religiöse Intoleranz als Erzählmotiv: Zur Rolle der Katholiken und Juden
im Werk von Theodor Fontane
Bekanntlich gilt der Zeitroman als ein Romantypus, dessen Hauptaufgabe in der Widerspiegelung der Zeitwirklichkeit seines Autors besteht. Nicht zuletzt repräsentieren Fontanes Zeitromane das Zeitpanorama der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: ein Zeitpunkt, wo sich Deutschland zu einem einheitlichen Staat zu entwickeln begann und auf diesem Wege aus Agrarland zu einem der größten Industrieländern Europas wurde. Dieser Werdegang wurde von Umwälzungen auf politischer Ebene, sowie regen Entwicklungen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens begleitet: in sozial-wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Bereichen.
Der folgende Beitrag wird den Besonderheiten der Erzählkunst Fontanes gewidmet sein, und zwar der Frage, wie die antijüdischen und antikatholischen Stimmungen, die das gesellschaftliche Leben in Deutschland der wilhelminischen Ära prägten, in Fontanes Romankunst zum Ausdruck kommen.
Die krisenhafte Lage der deutschen Juden und Katholiken wurde in den Gründerjahren zum selbstverständlichen Phänomen in den höheren Schichten der Gesellschaft und wurde nicht zuletzt auf staatlicher Ebene gefördert: Zu erinnern sei an dieser Stelle an den Kulturkampf, den selbst Otto von Bismarck gegen die Katholiken aufgegriffen hatte. Aus dieser Hinsicht sei es nachvollziehbar, warum der Roman von Gustav Freitag „Soll und Haben“, wo der Antisemitismus ein führendes Merkmal ist, das populärste Werk galt und in den Regalen der Intellektuellen nicht fehlen durfte.
Theodor Fontane, dessen Werke als Sprachröhre für seine Zeit auftreten, verfügt über ein ambivalentes Verhalten zur Judenfrage und zum Antikatholizismus: auch bei ihm kommt der Antisemitismus zum Vorschein, indem seine jüdischen Figuren zumeist in nicht positivem Licht auftreten (obwohl Fontane auf die Verteilung „absolut positive und absolut negative Figuren“ verzichtet). Noch wichtiger sei es hervorzuheben, dass die religiöse Intoleranz gegen die Juden dadurch zum Ausdruck kommt, dass die jüdischen Figuren aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden: es wird nämlich über sie nur geredet, aber sie als handelnde Personen kommen sehr selten im Romangeschehen vor. Das ist ein erzähltechnisches Mittel von Fontane, das seine Erzählkunst verfeinert und ihn von seinen Zeitgenossen unterscheidet.
Was die katholischen Figuren betrifft, dann können wir eine Tendenz beobachten, dass bei Fontane die Katholiken zumeist Frauen sind, und sie zeichnen sich durch ihre Hilfsbereitschaft, Verständnis und Treue aus. Im Großen und Ganzen lässt sich bei Fontane herausstellen, dass seine katholischen Figuren positive Figuren sind. Die Fontaneforscher führen diese Tatsache auf die Bekanntschaft Fontanes mit der Familie Wangenheim zurück. Wie es dem auch sei, sind auch bei Fontane die beiden Konfessionen - Protestantismus und Katholizismus konkurrierende Seiten, und jeder Versuch, ihr gemeinsames Wirken zu harmonisieren, scheitert. Diese Tatsache spricht wiederum für die Atmosphäre der herrschenden Intoleranz, die leider auch heutzutage in der modernen Gesellschaft präsent ist.