Tilman Borsche
(Universität Hildesheim, Deutschland)
Georgien und Europa –
Zukunftsperspektiven mit historischem Hintergrund
Nach einer kurzen Einleitung über das Kunstgebilde „Südkaukasien“ wird der Beitrag sich auf Frage konzentrieren, seit wann und in welcher Form Georgien mit Europa verbunden war, noch bzw. wieder ist und künftig sein könnte. Dazu wird zunächst zu klären sein, wofür „Europa“ in einem solchen Fragehorizont steht, wie sich selbst wahrnimmt und positioniert bzw. wahrgenommen wurde und wird. Wo sieht es seine Grenzen, worin setzt es seine Identität? Erst dann kann sinnvoll gefragt werden, welche narrativen Stränge die beiden historischen Gebilde Georgien und Europa verbinden und mit welchen Argumenten eine Integration Georgiens nach Europa angestrebt wurde bzw. wird und werden kann.
Diese Argumente wechseln mit der Zeit, sie wandeln sich mit den beiderseitigen kulturellen Wünschen und politischen Möglichkeiten. Dichte Netzwerke, die Georgien in Antike und Mittelalter mit Europa verbanden, sind zerrissen, sie gehören einer untergegangenen Epoche an. In der Neuzeit war Georgien durch das Osmanische Reich von Europa abgeschlossen. Erst im 19. Jahrhundert trat es wieder in das Blickfeld eines nach Westen verschobenen Europas – als transkaukasische Kolonie des Zarenreichs. Unter diesem imperialen Blickwinkel seiner europäischen Wahrnehmung leidet das Land noch heute.
Die Kontakte beider Seiten mussten bzw. müssen also neu geknüpft werden. Dabei müssen sie auf eine neue Basis gestellt werden, wenn sie sich auf Augenhöhe entwickeln sollen – ohne die Notwendigkeit einer Vermittlung durch eine imperiale Zentralperspektive.
Deshalb wird in einem gegenwarts- und zukunftsbezogenen Hauptteil gefragt, welcher Art die neue Verbindung sein kann und soll, welche Bedingungen eine solche Verbindung selbstständiger Gebilde an beide Seiten stellt, und schließlich und vor allem, welche unterschiedlichen Interessen auf beiden Seiten für (oder gegen) eine solche Verbindung sprechen. Es müssten ernsthafte Interessen auf beiden Seiten sein, es müssen aber nicht – das erscheint mir wichtig – auf beiden Seiten die gleichen Interessen sein. Beide Seiten sollten deutlich aussprechen, was sie von der anderen erwarten und was sie einzubringen fähig, willens und in der Lage sind. Das ist gewiss nicht wenig, aber es muss erkannt, benannt und dann auch umgesetzt werden. Der Weg einer Integration Georgiens in ein vielgestaltiges Europa wird ein langer Weg mit offenem Ende sein, den zu beschreiten beide Seiten längst begonnen haben.